Im Mittelpunkt des literatur- und medienwissenschaftlichen Projekts stehen literarische Texte, die sowohl der postkolonialen als auch der so genannten „transkulturellen italophonen Literatur“ zugeordnet werden können. Darunter werden Werke von AutorInnen verstanden, deren „[...] Vorfahren Italienisch nicht oder nur partiell als Muttersprache hatten, die ihre Werke nun aber in italienischer Sprache verfassen. Sie müssen nicht unbedingt persönlich Migration im strengen Wortsinn erlebt haben, sind aber meist familiär bedingt geprägt von solchen Erfahrungen. [... Sie] zeigen sich nicht nur von der italienischen, sondern auch von einer oder mehreren anderen Kulturen geprägt. Es kommt also zu einer Vermischung und Verflechtung von Kulturen [...]". [Kleinhans/Schwaderer 2013, S. 13] Dieser literaturwissenschaftliche Schwerpunkt wird durch eine Erweiterung des Forschungsgegenstands auf andere Medien, in erster Linie Dokumentar- und Spielfilme sowie Online-Zeitschriften, und auf andere Bereiche von Kunst und Kultur ergänzt.
Zwei Fragestellungen dienen als Leitlinien des Projekts:
1) Anhand eines repräsentativen Textkorpus wird untersucht, ob sich thematische „rote Fäden“ in den sehr heterogenen Werken erkennen lassen: Welche Rolle spielen Themen wie die Auseinandersetzung mit der eigenen - transkulturellen - Identität, mit nationaler und literarischer Verortung, politischen Fragen zur aktuellen Einwanderungspolitik, gesellschaftlichen Entwicklungen und sozialen Bedingungen in Italien und den daraus resultierenden Konflikten, aber auch mit Chancen und Zukunftsperspektiven? Innerhalb der Werke von AutorInnen vorwiegend afrikanischer und südosteuropäischer Herkunft liegt der Fokus auf jenen, die ausführlich die widersprüchliche und von Konflikten geprägte Beziehung Italiens sowohl zu den ehemaligen Kolonien am Horn von Afrika als auch zu Albanien - das als italienisches Protektorat im Zweiten Weltkrieg de facto ebenfalls zu einer italienischen Kolonie wurde - thematisieren.
2) Ergänzend zu diesen literaturzentrierten Fragestellungen wird die Wahrnehmung und Repräsentation der gewählten AutorInnen in der massenmedialen Öffentlichkeit untersucht. Dabei wird u.a. herausgearbeitet, wie z.B. im Feuilleton, in Rezensionen, TV-Sendungen und Nachrichtenmedien über so genannte transkulturelle italophone AutorInnen berichtet wird: Welche Kriterien werden zur Bewertung und Einschätzung ihrer Werke herangezogen? Werden sie als vollwertige Mitglieder der italienischen „Repubblica delle lettere“, des literarischen und publizistischen Betriebs, wahrgenommen oder in eine „ethnische Nische“ abgedrängt? Daran schließt die Frage an, wie die AutorInnen ggfl. selbst in ihren Werken, aber auch in ihrer Selbstdarstellung - beispielsweise in Blogs, Interviews, Artikeln und Fotografien - mit zunehmendem Selbstbewusstsein auf die mediale Fremdwahrnehmung sowie auf Markt- und Vermarktungsmechanismen reagieren.
Ziel der Projektarbeit ist vor diesem Hintergrund, ein besseres Verständnis für die politische Dimension des „literarischen Feldes“ in Italien zu entwickeln. Besonders gewinnbringend erscheint der Blick auf Diskurse rund um den Kolonialismus bzw. den Postkolonialismus, die erst in jüngerer Zeit in den Fokus der italienischen (medialen) Öffentlichkeit, aber auch des Kultur- und Literaturbetriebs rücken. In engem Zusammenhang damit steht auch die zunehmende Infragestellung homogener, eindeutiger Identitätszuweisungen, die Diskussion um so genannten hybride Identitäten, die im Unterschied zu z.B. Frankreich in Italien gerade einen großen Aufschwung erlebt und als diskursives Phänomen näher beleuchtet wird.